An dieser Stelle werden am 1. Oktober 2025 die sterblichen Überreste von drei Roma aus Rumänien bestattet, die Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts unter bislang ungeklärten Umständen verstarben. Einer dieser Schädel wurde im Jahr 1865 in einem Krankenhaus in Bukarest dokumentiert, während die Herkunft der beiden anderen nicht näher verzeichnet ist.
Die Schädel gelangten ohne die Zustimmung der Verstorbenen in den Besitz von Rassenforschern. Vermutlich zunächst in der Sammlung des niederländischen Anthropologen Jan van der Hoeven, wurden sie später vom Leipziger Mediziner und Anthropologen Emil Ludwig Schmidt übernommen, der 1901 seine sogenannte „Schädelsammlung“ an die Universität Leipzig übergab. In diesem Katalog von etwa 1.300 gelisteten Schädeln sind drei als „Z***-Schädel“ ausgewiesen – nur bei einem mit dem Zusatz „Bukarest, Krankenhaus“.
Bis vor wenigen Jahren war kaum bekannt, dass auch Gebeine von Roma in solchen anthropologischen Sammlungen aufbewahrt wurden. Ihre Präsenz in Leipzig ist eng mit dem Wirken von Otto Reche verbunden, der seit den 1930er Jahren Professor für Ethnologie in Leipzig war und zugleich eng mit der Polizei zusammenarbeitete. Reche beteiligte sich aktiv an der Erfassung von Roma und Sinti: So plante er 1934 für das Rassenpolitische Amt der NSDAP eine systematische Kartei „aller in Sachsen lebenden Bastarde mit anderen Rassen“ und regte an, „zunächst mit den in Leipzig vorhandenen zu beginnen“. 1936 legte er eine „Liste der in Leipzig lebenden Z***“ vor, die unmittelbar als Grundlage für die rassistischen Erhebungen der „Rassenhygienischen Forschungsstelle“ diente.
Die von Reche initiierten und mit der Polizei abgestimmten Erhebungen führten zur pseudowissenschaftlichen „Begutachtung“ und Vermessung von etwa 60 Leipziger Roma und Sinti im Jahr 1940. Dabei wurden Haut-, Haar- und Augenfarben bestimmt, Körpermaße erhoben und vermeintliche „Rassemerkmale“ konstruiert. Diese Methoden lieferten keinerlei wissenschaftliche Belege, dienten jedoch dazu, uralte Vorurteile pseudowissenschaftlich zu legitimieren und in die NS-Rassenpolitik einzuschreiben. Reche selbst wie auch die Anthropologin Sophie Erhardt führten Messungen an den drei Roma-Schädeln durch und integrierten sie in ihre rassistischen Forschungen. Beide waren damit nicht nur in die ideologische, sondern auch in die praktische Verfolgung von Roma und Sinti eingebunden, die im nationalsozialistischen Völkermord gipfelte.
Nach 1945 wurden die Gebeine nicht bestattet, sondern verblieben im Bestand der Leipziger Anatomie, wo sie trotz veränderter wissenschaftlicher und ethischer Standards weiterhin als „Forschungsmaterial“ behandelt wurden – teilweise bis in die 2000er Jahre. Erst 2023 wurden sie endgültig aus dem wissenschaftlichen Kontext herausgelöst.
Die Universität Leipzig nahm im Rahmen der jüngsten Provenienzforschung auch Kontakt zum rumänischen Staat auf, der jedoch kein Interesse an einer Rückführung signalisierte. Da wir als Vertreter der Roma und Sinti bereits frühzeitig in die Aufarbeitung einbezogen waren, hat der Romano Sumnal e.V. die Verantwortung übernommen, den drei Menschen in Leipzig eine würdige Bestattung zu ermöglichen.
Die Beisetzung erfolgt bewusst auf dem Südfriedhof Leipzig, da wir dort bereits eine Patenschaft für die Grabstätte der Familie Franz übernommen haben – einer Sinti-Familie, deren Angehörige sowohl vor als auch während der NS-Zeit ums Leben kamen. Das zugehörige Grundstück ist groß und zentral gelegen, sodass sich hier ein geeigneter und würdiger Ort für die Bestattung der drei Roma-Schädel fand. Durch die Verbindung mit der Grabstätte der Familie Franz wird zugleich ein gemeinsamer Erinnerungsort geschaffen, an dem sowohl der historischen Verfolgung von Roma und Sinti als auch der Würde der drei namenlosen Verstorbenen gedacht werden kann.
Am 1. Oktober 2025 werden die Gebeine dort beigesetzt – nach über 160 Jahren wird den drei Roma damit endlich die Würde zurückgegeben, die ihnen zeitlebens und über den Tod hinaus verweigert wurde.